Stahl ist das Rückgrat zahlreicher Industrien – von Bauwesen und Maschinenbau bis zur Automobilbranche. Seine Vielseitigkeit und Stabilität machen ihn unverzichtbar, doch die deutsche Stahlindustrie steht vor massiven Herausforderungen: hoher Wettbewerbsdruck, steigende Energiepreise und der notwendige Wandel hin zu klimafreundlicher Produktion. Ist Deutschlands Stahlbranche noch wettbewerbsfähig? Und wie kann sie die Transformation zur Nachhaltigkeit erfolgreich meistern?
Im Rahmen eines Projektes für einen Mandanten aus der Stahlindustrie hat HANSE Interim die zentralen Marktentwicklungen sowie die entscheidenden Herausforderungen und Chancen innerhalb der Branche analysiert.
Was ist Stahl und warum ist er so essenziell?
Stahl besteht überwiegend aus Eisen und ist bekannt für seine Härte und Vielfältigkeit. Eisen selbst ist relativ spröde, reagiert vor allem auf Wasser und Sauerstoff sehr empfindlich und rostet schnell. Der Hauptgrund dafür ist der im Eisen enthaltene Kohlenstoff. Roheisen hat einen Kohlenstoffanteil von 4%, was zu seiner Brüchigkeit und Unformbarkeit führt. Daher ist Eisen für zahlreiche Industrien wenig attraktiv.
Hier kommen Stahlwerke ins Spiel: Das Eisen wird so intensiv erhitzt, dass der Kohlenstoffanteil verbrennt und auf insgesamt weniger als 2% sinkt. Durch die Einbeziehung anderer Elemente können dabei sogenannte Legierungen geschaffen werden, welche je nach Verwendungszweck verschiedenen zu Eigenschaften hinsichtlich Härte, Flexibilität und Formbarkeit führen. Einige Stahlsorten können eher mechanischen Belastungen standhalten, während andere besonders wetterfest oder resistent gegen Oxidation sind. Daher überzeugt stahl mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in vielen verschiedenen Industriezweigen.
Neben seiner technischen Vielseitigkeit ist Stahl auch ein wirtschaftlicher Faktor: Als einer der meistgenutzten Werkstoffe weltweit beeinflusst seine Produktion den globalen Handel und die Wertschöpfungsketten enorm.
Wie wird Stahl produziert? Ein kleiner Exkurs.
Stahl kann auf zwei verschiedene Arten hergestellt werden: im Hochofen oder im Elektroofen. Beim Hochofen-Verfahren werden zunächst die für den Stahl benötigten Ressourcen hergestellt: Eisenerz wird zusammen mit Koks, einem aus Kohle gewonnenen Brennstoff, geschmolzen. Durch die hohen Temperaturen kommt es zu komplexen Reaktionen, sodass dem Eisenerz Sauerstoff entzogen wird. Es entsteht Roheisen.

Erst im Stahlwerk entsteht aus Roheisen ein flexibler, umformbarer Stahl. Dort wird das Roheisen anschließend mit Stahlschrott vermischt und in einem Sauerstoffofen mit Sauerstoff angereichert, um den Kohlenstoffgehalt zu senken.
Es entsteht Rohstahl, welcher im Weiteren durch die Zugabe von Legierungselementen wie Nickel oder Chrom veredelt, in Formen gegossen und gewalzt wird, um die gewünschte Struktur zu erhalten.
Beim Elektroofen-Verfahren kommt anstelle von Eisenerz recycelter Stahlschrott als Ausgangsmaterial zum Einsatz. Er wird in einem Elektroofen geschmolzen, gereinigt und dann durch Legierungen verfeinert. Dieses Verfahren ist nachhaltiger und energetisch effizienter, da es ohne Kohle auskommt und geringere CO₂-Emissionen verursacht.
Der Hochofen ist nach wie vor die traditionelle Methode zur Herstellung, aber der Elektroofen gewinnt aufgrund seiner Umweltfreundlichkeit zunehmend an Bedeutung.
Die Stahlproduktion ist besonders klimaintensiv und derzeit für bis zu 28 % der gesamten industriellen CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Der prozessbedingte Ausstoß von Kohlendioxid entsteht zu einem großen Teil durch die Verbrennung von Koks. Zusätzliche Emissionen resultieren aus der Verwendung von elektrischem Strom, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wird. Damit zählt die Stahlindustrie zu den Industrien mit einem besonders hohen Energiebedarf.
Trotz seiner klimaintensiven Produktion überzeugt Stahl jedoch auch durch seine Ressourceneffizienz. Obwohl die ursprüngliche Produktion sehr viel CO2 freisetzt, ist Stahl vollständig recycelbar, was ihn zu einem der nachhaltigsten Werkstoffe macht und somit enorm zu Ressourcenschonung beiträgt. Er kann nahtlos in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden und hat somit eine zentrale Bedeutung in einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Industrie.
Die Bedeutung der Stahlindustrie in Deutschland
Die Stahlindustrie spielt eine zentrale Rolle in den deutschen Wertschöpfungsketten und ist eng mit zahlreichen Industriezweigen verknüpft. Sie bildet das Fundament für Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie und dem Maschinenbau, wobei rund 20 % der Vorleistungen im Maschinenbau und 12 % im Fahrzeugbau aus der Stahlindustrie stammen.
Auch Sektoren wie Elektrotechnik, Baugewerbe sowie die Stahl- und Metallverarbeitung zählen zu wichtigen Abnehmern.
In Deutschland beschäftigen die stahlintensiven Industrien rund 4 Millionen Menschen und machen etwa zwei Drittel der Industriearbeitsplätze aus.
Direkt in der Stahlindustrie selbst sind über 80.000 Beschäftigte tätig. Innerhalb Deutschlands sind die thyssenkrupp AG und die Salzgitter AG die bedeutendsten Stahlproduzenten.

Die aktuelle Lage der Stahlindustrie. Deutschland im globalen Vergleich
Ein erfahrener Interim Manager von HANSE Interim übernahm die Verantwortung für ein unternehmensweites Transformationsprojekt, von der Standortbewertung über die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie bis hin zur operativen Umsetzung erster Maßnahmen. Dabei wurde besonders deutlich, wie stark geopolitische Entwicklungen, technologische Innovationen und regulatorische Anforderungen den Handlungsspielraum industrieller Akteure beeinflussen.
China war 2023 mit rund 1,1 Milliarden Tonnen und 54 % Anteil an der weltweit größte Rohstahl-Produzent, gefolgt von Indien und Japan auf Platz 2 und 3. Deutschland produzierte derweilen im Jahr 2023 eine Rohstahlmenge von ca. 35,4 Millionen Tonnen, und belegte 2023 im globalen Ranking der Rohstahlproduktion somit den 7. Platz.
Entwicklung der deutschen Rohstahlproduktion

Innerhalb Europas bleibt Deutschland in der Stahlproduktion vor Italien, Frankreich und Spanien zwar führend, doch die deutsche Stahlproduktion erreichte 2023 ihr niedrigstes Niveau seit der Finanzmarktkrise 2009. Die Produktion sank somit auf ein historisches Tief, wobei die Elektrostahlerzeugung mit einem Minus von 11 % besonders stark einbrach.
Gleichzeitig bleibt der asiatische Raum mit über 1,2 Milliarden Tonnen der größte Stahlverbraucher weltweit, mit China an der Spitze – sowohl als Produktionsstandort als auch als einer der größten Stahlverbraucher pro Kopf hinter Südkorea.
Diese Entwicklung wird sich Prognosen zufolge 2025 so fortsetzen, insbesondere in Schwellenländern mit hohem Infrastrukturbedarf.
Insgesamt ist der Weltstahlmarkt durch eine ausgeprägte internationale Wettbewerbsintensität gekennzeichnet, die teilweise negative Auswirkungen auf die erzielbaren Preise hat. Vor allem die Stahlproduktion und die Stahlexporte aus China haben in den letzten Jahren erhebliche Auswirkungen auf den globalen Stahlmarkt gehabt.
Herausforderungen der Branche
Jüngste Entwicklungen bei Thyssenkrupp verdeutlichen die schwierige Lage der Branche. Aufgrund der Nachfrageschwäche verkündete das Unternehmen im November 2024 den Abbau von ca. 11.000 Stellen sowie die Schließung eines Produktionsstandortes, mit dem Ziel, wieder wettbewerbsfähiger zu werden.
Die IG Metall warnte bereits 2016 davor, dass die deutsche Stahlindustrie in ihrer Existenz bedroht sein könnte. Die genannten Kernprobleme der Branche sind bis heute bestehen geblieben.
- Internationale Konkurrenz: Subventionierter und günstiger Stahl aus China verzerrt den Wettbewerb und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hersteller.
- Klimaschutz & CO₂-Kosten: Strengere Emissionsregelungen und steigende CO₂-Zertifikatskosten erhöhen die Produktionskosten und könnten Investitionen ausbremsen.
- Hohe Energiepreise: Die energieintensive Produktion wird durch steigende Strom- und Rohstoffkosten zusätzlich belastet.
- Dekarbonisierung & Technologiewandel: Die Umstellung auf klimafreundliche Verfahren wie Wasserstoffbasierte Stahlproduktion ist notwendig, aber finanziell und infrastrukturell herausfordernd.
Dabei stellt vor allem die klimaintensive Produktion von Stahl die Industrie aktuell vor eine große Herausforderung: Pro Jahr werden in Deutschland bei der Stahlproduktion ca. 55 Millionen Tonnen CO2 emittiert, was vor allem auf die Verbrennung von Koks sowie die Nutzung von Strom aus fossilen Energieträgern zurückzuführen ist.
Es bedarf dringend politischer Maßnahmen, um die Transformation hin zu klimafreundlichen Produktionsverfahren wirtschaftlich tragfähig zu machen. Hierzu zählen konkurrenzfähige Strompreise, Förderungen für Investitionen und verlässliche Rahmenbedingungen, um der deutschen Stahlindustrie die Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu sichern und gleichzeitig eine nachhaltige Reduktion ihrer CO₂-Emissionen zu ermöglichen.
Die Zukunft der deutschen Stahlproduktion
Stahl ist und bleibt ein bedeutsamer Rohstoff, auf den auch in Zukunft nicht verzichtet werden kann. Er ist essenziell für die Produktion zahlreicher Erzeugnisse, auch in der Energiewende. So wird Stahl unter anderem für die Herstellung von Wärmepumpen, Windkraftanlagen und Photovoltaiksystemen benötigt – im Kontext des Klimawandels ein Widerspruch, den es zu lösen gilt.
Um die deutsche Stahlindustrie bei der Transformation zu einer klimafreundlichen und wettbewerbsfähigen Produktion zu unterstützen, wurde von der Bundesregierung im Jahr 2020 das Handlungskonzept Stahl erarbeitet. Es beruht auf drei wesentlichen Pfeilern:
- Klimaschutz, durch die Reduktion von CO2 Emissionen,
- Wettbewerbsfähigkeit durch faire Marktbedingungen und Investitionsförderung,
- Soziale Verantwortung, um Arbeitsplätze und industrielle Wertschöpfung zu erhalten
Ein wesentlicher Aspekt ist vor allem die Dekarbonisierung der Stahlproduktion, durch den Wechsel von kohlebasierten Hochöfen zum sogenannten Direktreduktionsverfahren mit Wasserstoff.
In herkömmlichen Hochöfen wird Kohlenstoff aus Koks verwendet, um den Sauerstoff aus dem Eisenerz zu entfernen. Bei der Direktreduktion übernimmt Wasserstoff diese Aufgabe. Folglich entsteht anstelle von CO2 Wasserdampf, was zu einer drastischen Reduzierung der Emissionen führt.
Die Elektrostahlproduktion spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle, da recycelter Stahlschrott in Elektrolichtbogenöfen geschmolzen wird, ein Verfahren, das im Vergleich zur traditionellen Roheisenherstellung deutlich weniger Energie verbraucht und CO₂-Emissionen vermeidet. Voraussetzung ist jedoch ein Zugang zu ausreichend erneuerbaren Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen.
Außerdem sollen Ausgaben für Forschung und Innovation angeregt werden, um neue Technologien wie „grünen Stahl“ ökonomisch tragfähig zu gestalten.
Das Konzept sieht auch handels- und industriepolitische Maßnahmen vor, wie z.B. CO₂-Grenzausgleichssysteme, um den internationalen Wettbewerbsdruck, insbesondere durch günstigen Importstahl aus Ländern mit niedrigeren Umweltstandards, auszugleichen.
Somit soll langfristig die Stahlproduktion in Deutschland bewahrt, Arbeitsplätze geschützt und die Branche klimaneutral sowie zukunftsfähig gestaltet werden

Fazit
Während Stahl ein unverzichtbarer Werkstoff für viele Schlüsselindustrien ist und eine bedeutende Rolle in der deutschen Wirtschaft spielt, sieht sich die Branche aufgrund einer notwendigen Dekarbonisierung, internationalem Wettbewerbsdruck und steigenden Strompreisen jedoch mit enormen Herausforderungen konfrontiert.
Gezielte politische Maßnahmen und Investitionen in klimafreundliche Technologien sind unerlässlich, um langfristig wettbewerbsfähig und nachhaltig zu bleiben. Wenn die Branche eine Transformation zu einer grünen Stahlproduktion, vor allem durch den vermehrten Einsatz von Wasserstoff und Elektrostahl, schafft, kann dies den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder stärken und gleichzeitig einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Wie sehen Sie die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland? Teilen Sie gerne Ihre Perspektiven mit uns!
Mit besten Grüßen
Ihre HANSE Interim-Geschäftsführung
Andreas Lau