HANSE Interim Team Research: Befindet sich das deutsche Krankenhauswesen in der Notaufnahme? Wie kann der dringend benötigte Strukturwandel gemeistert werden?
Die finanzielle Schieflage deutscher Krankenhäuser ist seit einigen Jahren immer wieder Thema in der Gesundheitsbranche. Auch 2023 hat sich die Lage weiter verschlechtert.
Im Rahmen eines Projektes der HANSE Gruppe für einen in der Health-Care-Branche tätigen Mandanten, hat HANSE Interim die zentralen Marktentwicklungen sowie die entscheidenden Entwicklungen untersucht und im Hinblick auf Bedeutung und Auswirkung auf die zukünftigen Chancen und Risiken der Branche analysiert.
Marktlage Krankenhauswesen
In einer Umfrage des DKI im Juli 2023 gaben fast alle Allgemeinkrankenhäuser an (96%), dass sie nicht dazu in der Lage sind, die aktuellen Kostensteigerungen bei den Personal- und Sachkosten aus den regelhaften Erlösen dauerhaft finanzieren zu können. 63 % bewerteten ihre Liquiditätssituation als schlecht oder sehr schlecht.
Auch die wirtschaftliche Perspektive wird pessimistisch eingeschätzt.
69 % der Krankenhäuser sehen ihre wirtschaftliche Existenz bis zum Wirksamwerden der geplanten Krankenhausreform im Jahr 2027 als ernsthaft gefährdet an.
Zu den Hauptproblemfeldern zählen Personalmangel, Finanzierungsschwierigkeiten, Inflation und Investitionsstau, welche weiter eine Belastung für die Krankenhäuser darstellen.
Hinzu kommen Themen wie die fortschreitende Marktkonsolidierung und Ambulantisierung.
In jüngster Zeit hat sich die Nachfrage nach Interim Managern im Health-Care-Bereich auch bei HANSE Interim signifikant erhöht. Dieser Trend spiegelt die wachsende Notwendigkeit wider, qualifizierte Führungskräfte temporär einzusetzen, um auf die besonderen Herausforderungen und Veränderungen im Gesundheitswesen flexibel reagieren zu können.
Unternehmen und Einrichtungen erkennen zunehmend den Wert, den erfahrene Interim Manager bringen, um Effizienz und Prozessqualität zu steigern und Qualitätsstandards aufrechtzuerhalten.
Viele Klinikbetreiber haben außerdem erkannt, dass Anpassungen notwendig sind, und arbeiten daran, ihre Krankenhäuser neu auszurichten.
Der Druck ist hoch, was auch Einschätzungen zur Entwicklung der Klinikzahlen zeigen.
So erwarten 83 % der Teilnehmer einer Krankenhausumfrage im Mai 2023 (Geschäftsführer und ärztliche Direktoren), dass die Zahl der Kliniken in Deutschland von 1.887 (2021) bis zum Jahr 2028 auf 1.250 bis 1.750 sinken wird.
Im Zeitraum 2028 bis 2033 soll die Klinikzahl insbesondere durch die zunehmende ambulante Versorgung weiter sinken. 73 % der Befragten schätzen, dass die Klinikzahl dann auf ein Niveau von 1.000 bis 1.500 fallen wird.
Anzahl der deutschen Krankenhäuser und eingeschätzte Bandbreite der Zahl bis 2028 und 2033
* von einer Mehrheit eingeschätzte Bandbreite (vgl. Erläuterungen im Text)
Das deutsche Krankenhauswesen steht also in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen.
Welche Trends und Innovationen können zukünftig eine prägende Rolle einnehmen und den Anbietern helfen den dringend notwendigen Strukturwandel zu meistern?
- Kooperationen, Übernahmen und Fusionen gewinnen an Bedeutung. Um Synergien besser heben zu können gehen Experten davon aus, dass in den nächsten Jahren vor allem Fusionen und Übernahmen von Krankenhäusern weiter zunehmen werden.
- Die Ambulantisierung in Krankenhäusern gehört zu den wesentlichen Zielen in der Gesundheitsversorgung. Nach Einschätzung von Experten werden im internationalen Vergleich zu viele Leistungen stationär erbracht, die sich qualitativ besser und wirtschaftlich sinnvoller ambulant in den Praxen leisten lassen. Auf der Krankenhausseite trifft dies jedoch insb. kleinere, unspezialisierte Versorger, die die Erlösrückgänge kaum kompensieren können.
Als Handlungsoptionen kommen, neben der Schließung von defizitären Fachabteilungen, der Ausbau von Krankenhausambulanzen, der Kauf von Praxen und Kassensitzen sowie die Einrichtung von ambulanten OP-Praxen, medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder integrierten Gesundheitszentren in Betracht.
- Ein weiteres Topthema von Verantwortlichen ist (neben Telemedizin, Robotik und IoT) der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Die Betreiber gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren die Technologie in den Bereichen der Bilderkennung und Entscheidungsunterstützung, bei Zeitreihen- und Ursachenanalysen sowie bei der Rechnungsprüfung oder im Personalwesen eine bedeutende Rolle zur Prozessoptimierung einnehmen wird.
- Seit vielen Jahren beherrscht das Thema Fachkräftemangel die Agenda im gesamten Gesundheitswesen. Der Mangel führt dazu, dass verfügbare Bettenkapazitäten wegen fehlender Pflegekräfte nicht belegt werden können, oder zwingt die Betreiber dazu, auf erheblich teurere Leihkräfte zurückzugreifen. Aktuelle Maßnahmen der Krankenhäuser betreffen den Aufbau eigener Ausbildungskapazitäten sowie die Erhöhung der Arbeitsplatzattraktivität („Work-Life-Balance“). Es wird einerseits zwar erwartet, dass sich der Personalengpass durch Klinikschließungen etwas entspannt, andererseits steigen auch die Teilzeitquoten.
- Digitalisierung – Auf Patientenseite hat die COVID-19 Pandemie die Transformation beschleunigt. So treffen Krankenhäuser auf Patienten mit einer gestiegenen Akzeptanz von Virtual Health und anderen digitalen Innovationen sowie mit zunehmender Beteiligung an der Entscheidungsfindung
Fazit
Die finanzielle Schieflage deutscher Krankenhäuser ist ein anhaltendes Problem, das sich im Jahr 2023 weiter verschärft hat. Signifikante Fortschritte in Digitalisierung, Vernetzung und Innovation sowie auch Veränderungen in der Arbeitswelt sind die zentralen Treiber für Krankenhäuser. Die Krankenhäuser müssen sich mit erhöhter Geschwindigkeit an die veränderten Bedingungen anpassen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können.
Welche Entwicklungen sehen Sie zukünftig in diesem Markt?
Mit herzlichen Grüßen
Ihre HANSE Interim-Geschäftsführung
Andreas Lau
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Hört man den Experten aufmerksam zu, so steht das deutsche Gesundheitswesen vor einem veritablen disruptiven Strukturwandel innerhalb der nächsten 3 – 5 Jahre. Dieses Mal handelt es wohl nicht nur um eine der diversen Gesundheitsreformen aus dem Bundesministerium.
Kann Deutschland mit seinem vorbildlichen analogen Gesundheitswesen weltweit traditionell noch punkten, hat das Land digital den Anschluss verpasst und es scheint, als sei keiner mehr zufrieden mit der Situation. Weder die Ärzte, das Medizinische Fachpersonal noch die Patienten.
Der Weg durch den Strukturwandel, wie ihn andere Branchen bereits erfolgreich hinter sich gebracht haben, steht unmittelbar bevor und hierin liegen auch große Chancen auch für ganz neue Marktteilnehmer. Darunter dürften wohl auch Versicherungen und „Datensammler“ sein.
Bei diesen Strukturveränderungen können Interim-Manager einen positiven Beitrag leisten, weil sie häufig aus anderen Industrien kommend, ähnliche disruptive Phasen erfolgreich mitgestaltet haben und über die Erfahrung und die Skills verfügen, wie solche Transformationen erfolgreich ge-managed werden können. Vorausgesetzt die Veränderung wird jetzt proaktiv angegangen. Wegducken und Aussitzen wird nicht funktionieren.
Ich greife hier beispielhaft einmal drei Themen heraus:
Das Krankenhausmodernisierungsgesetz soll ja den Krankenhäusern helfen, die Digitalisierung zu finanzieren. Bei vielen Einrichtungen ist das wohl zunächst einmal die IT-Infrastruktur. Die Verteilung der Mittel sollte m.E. die Zukunftsfähigkeit der Einrichtungen bereits berücksichtigen. Ich glaube, dass es hier zu einem Umsetzungsstau kommen wird. Diese Digitalisierung ist aber kriegsentscheidend, weil notwendige Effizienzsteigerungen wie die digitale Patientenakte, digitale Patientenannahme, der Einsatz von Robotics und AGVs zum internen automatisierten Transport von Arzneimitteln, Verbrauchsmaterial, Speisen und Getränken zur Entlastung des Medizinischen Fachpersonals aber notwendig sein wird. Auch die Chancen von AI in der Früherkennung von Krankheiten und damit Vermeidung von Erkrankung und Kosten lassen sich nur durch entsprechende Digitalisierung heben.
Durch die Einführung und Überprüfung der Leistungsgruppen wird eine Konzentration und Spezialisierung von Abteilungen und Standorten entstehen. Hierbei wird es daraus ankommen, eine Abwanderung von Ärzten und Medizinischem Fachpersonal ins Ausland bzw. in andere Branchen durch eine rechtzeitige Einbindung und begleitende Kommunikation entgegenzuwirken und Perspektiven aufzuzeigen. Auch hier sollte über eine Umwidmung von Krankenhäusern in eine Art Medical Care Center als erste Anlaufstelle nachgedacht werden bevor es zu Schließungen kommt. Ein weiteres Argument für die längst überfällige sektorenübergreifende Patientenversorgung. Ideen und Kreativität und Best Practices aus anderen Branchen oder Ländern sind auch hier gefragt.
Diese Transformation wird auch an den Lieferanten nicht spurlos vorbeiziehen. Es ist davon auszugehen, dass durch die weitere Einkaufskonzentration und Standardisierung die Anzahl der Lieferanten abnimmt. Eine besondere Herausforderung für die vielen mittelständisch geprägten deutschen Lieferanten. Hier sind Konzepte im besten Verständnis einer `Ko-Opetition‘ gefragt, wie man sie auch aus anderen Industrien kennt.
Essentiell wichtig dabei: Die Patienten nicht aus den Augen verlieren und es ist m.E. unumgänglich, an effektiven Lösungen für Infarkt- und Schlaganfallpatienten zu arbeiten. Die Konzentration der Kliniken und die Ausdünnung von Krankenhäusern ist in diesem Zusammenhang nämlich kontraproduktiv.
Lieber Bernd-Thomas Hohmann,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar und die tiefe Auseinandersetzung mit dem Thema. Ihre Analyse der bevorstehenden Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen sowie die herausgegriffenen Themen sind äußerst interessant.
Es ist besonders ermutigend zu sehen, wie Sie die Rolle von Interim-Managern in diesem bevorstehenden Strukturwandel betonen und die Chancen für neue Marktteilnehmer aufzeigen, darunter auch Versicherungen und “Datensammler”. Die Notwendigkeit einer proaktiven Herangehensweise an die bevorstehenden Veränderungen wird von Ihnen treffend unterstrichen.
Ihre Auswahl von drei Schlüsselthemen, Ihre Betonung der Wichtigkeit, die Patienten nicht aus den Augen zu verlieren, und Ihre Forderung nach effektiven Lösungen für akute medizinische Fälle sind von zentraler Bedeutung.
Wir schätzen Ihren Beitrag und sind offen für weiteren Austausch zu diesen wichtigen Themen. Es ist erfreulich zu sehen, wie engagiert und informiert unsere Leser sind.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Lau